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Die Kinder des Konfliktes

Von Hanna Decker und Diana Salinas

Fast 50 Jahre lang war Gewalt in Kolumbien alltäglich. Zuerst griff die linke Guerillagruppe FARC zu den Waffen, später stiegen auch die beiden Guerillagruppen ELN, EPL und die rechten Paramilitärs in den bewaffneten Konflikt ein. Doch nicht nur die fast acht Millionen Opfer leiden unter den Folgen. Auch ihre Kinder sind betroffen.

Wie wirkt sich der Konflikt auf die Psyche junger Leute aus? Umfassende wissenschaftliche Untersuchungen gibt es dazu nicht, aber einige Hinweise. Die Zahl der Suizide ist zuletzt deutlich gestiegen. Eine von zehn Personen leidet unter psychischen Problemen. Vor allem junge Menschen sind betroffen. Im Jahr 2014 haben sich mehr als 500 von ihnen unter 30 das Leben genommen.

Die Kinder des Konfliktes leiden still. Eine von ihnen ist Esther Polo. Die 26-Jährige lebt in Montería, der Hauptstadt der Region Córdoba.

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Esther und María wohnen im Viertel San Cristóbal in Montería, einem Viertel ohne geteerte Straßen, dafür mit holprigen Wegen und offener Kanalisation. Es ist heiß, die Sonne brennt vom Himmel, der Schweiß läuft. Der Kies unter den Füßen knirscht, aus den offenen Fenstern dringen das Lachen von Kindern und Stimmen aus den unermüdlich laufenden Fernsehern.

Seit dem Massaker 1988 lebt Familie Zabala in Montería. Trotzdem ist das Haus von Esther und ihrer Mutter María Zabala ist kahl. Persönliche Gegenstände gibt es kaum, auch keine Möbel, nur einen Schreibtisch aus Holz, ein Aquarium und ein paar Plastikstühle.

Es ist das Haus einer Vertriebenen und ihrer Familie. Einzige Dekoration ist ein kleiner Bilderrahmen mit zwei Fotos an der weißen Wand.

Marias Mann Antonio José Polo Hernández (rechts) und sein Onkel Emiliano Hernández wurden am 14. Dezember 1988 ermordet. Die Bilder wurden wenige Monate zuvor aufgenommen.

Verantwortlich für das Massaker an Marias Familie war damals der sogenannte Clan Castaño, eine der paramilitärischen Gruppen, die von Ende der 1980er bis Anfang der 2000er Jahre in der Region Córdoba wüteten. Sie gierten vor allem nach dem wertvollen Land der Bauern.

Córdoba ist durch Landwirtschaft und Viehzucht geprägt. In den 1990er Jahren wurden mehr als 300.000 Bauern in dieser Region von ihren Höfen vertrieben. Die Familie Zabala ist eine dieser Familien. Die Bauern wurden bis heute nicht entschädigt. Der neue Friedensvertrag soll das ändern.

Im Gesicht von María Zabala spiegeln sich Trauer und Wut, aber auch ein unbedingter Wille. María Zabala ist Opfer, aber auch Anführerin. Sie setzt sich für die vertriebenen Bauern oder ihre Witwen ein und wurde dafür bereits mit zwei wichtigen Preisen ausgezeichnet.

Esther hat von ihrer Mutter nicht nur den Schmerz, sondern auch ihre Willenskraft geerbt. Seit ein paar Monaten geht es ihr besser. Im kommenden Monat wird sie ihr Jura-Studium beenden. Arbeitserfahrung hat sie bei der Staatsanwaltschaft gesammelt und bei einer Behörde, die für die Überwachung der Menschenrechte in der Stadt zuständig ist.

Und Esther engagiert sich – genau wie ihre Mutter. Regelmäßig hilft sie Opfern des Krieges mit ihren juristischen Kenntnissen. Außerdem leitet sie eine Art Selbsthilfegruppe junger Frauen, die ähnlich wie sie selbst von der „Violencia“ traumatisiert sind.

Im Moment proben sie ein Theaterstück, in dem Gewalt gegen Frauen thematisiert wird. Esther ist die Regisseurin.

Sie reist auch ins Ausland, um über die Opfer des Konflikts in Kolumbien zu berichten. Sie hat ein Buch geschrieben – einen Gedicht-Band. Die junge Frau könnte sich vorstellen, nach dem Studium in einem Museum zu arbeiten, das sich mit der Geschichte Kolumbiens auseinandersetzt.

In einem kleinen Raum spielen die Enkel von María – die Kinder der Kinder des Krieges. Möglich, dass dies die erste Generation sein wird, die ohne Trauma aufwachsen kann.