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Ein anderer Widerstand

Das Volk der Nasa heilt sich selbst Von Marie-Lena Hutfils und Edilma Prada

In Toribío müssen viele Kriegswunden geheilt werden. Über ein halbes Jahrhundert lang haben die Einwohner – fast ausschließlich Ureinwohner des Volkes der Nasa – die Folgen des bewaffneten Konflikts in Kolumbien ertragen und sich auf ihre eigene, spirituelle Art und Weise zur Wehr gesetzt.

Im bewaffneten Konflikt hatte sich Toribío wegen seiner günstigen Lage zu einer Durchgangsroute für die verschiedenen Kriegsparteien entwickelt. Denn hier wird die kolumbianische Pazifikküste mit Zentralkolumbien verbunden. Die schwer zugänglichen Höhenzüge in der Umgebung boten sich als Rückzugsräume für bewaffenete Gruppen an. Außerdem genießt die Region, gerade wegen seiner indigenen Bevölkerung, einen gewissen Grad an Autonomie. Weniger staatliche Kontrolle hilft am Ende aber vor allem den Konfliktparteien. Diese Kombination machte die Region bei Lateinamerikas größter und ältester Guerilla-Organisation, der FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens), sehr beliebt.

Die indigene Bevölkerung in Toribío ist daher besonders von den gewaltsamen Auseinandersetzungen betroffen. Die fremden Kämpfer haben auf ihrem Weg vor allem Schmerz und Zerstörung hinterlassen. Seit Beginn der Gewalt Mitte der Sechzigerjahre wurde die Gemeinde über 600 Mal angegriffen. Ziel war meist die Polizeistation im Ort. Weil die selbstgebauten Raketen der Guerilleros aber nur sehr ungenau zu steuern sind, wurden die Einwohner oft zum Kollateralschaden. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung in der Region sind laut kolumbianischem Opferregister direkt vom Konflikt betroffen. Indirekt hat so gut wie jeder der 29.100 Bewohner der Region mit den Folgen zu kämpfen – seien es Angehörige, die getötet oder verwundet wurden, Freunde, die verschwunden sind oder Traumata, ausgelöst von der ständigen Angst vor Tod oder Verstümmelung.

Gleichermaßen ist Toribío für die resistencia, den Widerstand, bekannt. Duch ihren besonders starken Zusammenhalt haben es die Nasa im Konflikt geschafft, sich von keiner der beteiligten Parteien vereinnahmen zu lassen. Für sie stellt bis heute jede bewaffnete Gruppe, sei es die Polizei, das Militär oder die FARC, eine Bedrohung dar. Gegen die galt es, die Gemeinschaft zu schützen.

Die Männer des Volks schlossen sich 2001 zur guardia, einer Bürgerwehr, zusammen. Bewaffnet mit bastones, einfachen Holzstöcken, stellten sie sich den Sturmgewehren der Rebellen entgegen.

Wollten die Guerilleros in das Dorf einmarschieren, um die Polizeistation anzugreifen oder Geiseln zu nehmen, schlossen sich die Bewohner zusammen. Frauen, Kinder, Junge wie Alte versperrten den Eindringlingen den Weg. Gemeinsam reckten sie ihre Hände mit den Holzstöcken in die Höhe. Die bastones sind dabei mehr Symbol als Waffe. Gegen die Schusswaffen der Rebellen konnten sie nicht viel ausrichten. “Wenn ihr in unser Territorium wollt, müsst ihr zuerst uns umbringen”, war die Botschaft. Viele der Nasa sind so gestorben.

Resistencia bedeutet für die Indigenen aber viel mehr als Widerstand gegen die Gewalt. Widerstand ist für sie das Bewahren ihrer Traditionen, trotz des Krieges. Ihre Kraft ziehen sie dabei vor allem aus der Natur, den Orten, die für sie heilig sind und der spirituellen Verbindung zu ihren Ahnen.

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Heute ist es friedlich in Toribío. Seit zwei Jahren hat es keine Angriffe mehr gegeben. Das ist in erster Linie auf die Friedensgespräche zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC-Guerilla zurückzuführen.

Die Bewohner trauen sich wieder auf die Straßen. Die Bauern bestellen ihr Felder. Kinder spielen Fußball. Im Park sitzen junge Menschen und unterhalten sich. Jahrzehnte lang waren solche Bilder undenkbar.

Seit der Waffenruhe versucht das Dorf die Wunden, die der Konflikt hinterlassen hat, zu heilen. Mit ihren Ritualen und Traditionen wollen sie Frieden für sich und ihr Land zurückerlangen. Dabei ist Frieden für das Volk der Nasa mehr als die Einigung auf Waffenruhe oder ein Vertrag zwischen Regierung und Guerilleros.

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Vor drei Jahren haben die Einwohner Toribíos begonnen, die vom Krieg zerstörten und blutverschmierten Häuser, zu verschönern. Heute sind sie mit großflächigen Wandgemälden in kräftigen Farben verziert. Sie zeigen wichtige Symbole der Nasa, wie die madre tierra, die Mutter Natur, Kolibris, die Kraft bedeuten, oder Bauern in typischer Kleidung. So will sich Torbío seine Identität zurück holen. Nach dem Motto: „Toribío ist nicht so, wie es gemalt wird, sondern wie wir es uns malen.“

Den Nasa liegt seit der Waffenruhe neben dem Heilen der Wunden auch daran, ihre indigene Kultur zu bewahren – das Spirituelle, die Betonung der Gemeinschaft, das Künstlerische. Für vieles davon war während des Konflikts kein Raum. Ganz verloren sind ihre Traditionen aber nicht. Viele Rituale haben wieder Platz im Alltag der Nasa. Heute können sie wieder das ganze Jahr über ihre Feste feiern und für sie heilige Orte, wie Lagunen, Flüsse oder Berge besuchen. Mit Unterstützung der Regierung soll die Aufbauarbeit deshalb nicht in erster Linie finanziell geschehen. Die Traditionen der Nasa sollen gestärkt werden, um die Mutter Erde und ihre Bewohner von den Wunden der Gewalt zu heilen.